1833
Neue Mainzer Strasse


„Zu beiden Seiten der Treppe hat man die Büsten von Raphael und Dürer, als der beiden Haupt-Repräsentanten der neueren Kunst, recht passend und angenehm angebracht.“

Kunst-Blatt 1834, S. 74

Im Erdgeschoss des umgebauten Vrints-von-Treuenfeld-Palais befanden sich die Kunstschule und Atelierräume. Das Hauptgeschoss nahm die Gemäldegalerie, die umfangreiche Abgusssammlung sowie die Graphische Sammlung und die Bibliothek auf. Bevor sie eintraten, begegneten die Besucher jedoch Raffael und Dürer.

Johann Christian Lotsch, Bildnis Raffaels, 1833, Carrara-Marmor, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, Inv. Nr. PI.O.3214; Johann Nepomuk Zwerger, Bildnis Albrecht Dürers, 1834, Carrara-Marmor, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, Inv. Nr. PI.O.3213
Zum Zeitpunkt der Eröffnung im März 1833 wurde die noch unvollendete Dürer-Büste durch einen Gipsabguss ersetzt.

Rundgang
durch die Sammlungsräume


Grundriss

Grundriss zur Sammlungsstruktur

Empfangsräume

Von einem „Vorplatz“ im Treppenhaus gingen im ersten Stock des Gebäudes rechts die Bibliothek und links die Graphische Sammlung ab. Schritt man geradeaus weiter, so erreichte man die drei quergelagerten Empfangsräume, zeitgenössisch auch „Mittelzimmer“ genannt. Sie dienten als „Conversationszimmer“ der kennerschaftlichen Unterhaltung, vor allem aber auch der innerlichen Vorbereitung auf den Kunstgenuss. Die Besucher konnten hier ihr Auge schulen, um in die Lage versetzt zu werden, selbst Qualitätsurteile zu fällen. Denn die Maßstäbe standen fest: Dauerhaft ausgestellt waren hier Nachstiche nach Raffael und antiker Malerei.


„In diesen drei Mittelzimmern soll zum Eintritt in die Gallerie […] der Gipfel, oder das Vollendete der Kunst zu einer etwaigen historischen Uebersicht gezeigt werden.“

Vorläufige Mittheilungen 1833, S. 5

Brückenschlag von der Antike zur Gegenwart

Von den Empfangsräumen öffneten sich zwei Perspektiven: Nach Norden schlossen sich die Antikensäle an, nach Süden die Gemäldegalerie. Die Inszenierung war programmatisch. Endete die Raumflucht auf der einen Seite mit einem Abguss der „Laokoon-Gruppe“, die als Inbegriff und unüberbietbarer Höhepunkt der antiken Kunst galt, so bildete auf der anderen Seite die Büste des Stifters Johann Friedrich Städel den Zielpunkt des Parcours. Um zu ihr zu gelangen, mussten die Besucher zunächst die Säle mit den niederländischen und den deutschen Gemälden durchschreiten und die italienische Malerei als Höhepunkt der Kunstentwicklung erreichen. Hier befand sich in einer Nische Johann Nepomuk Zwergers idealisierte Porträtbüste Städels, die nicht von ungefähr an römische Vorbilder und die im Treppenhaus aufgestellten Bildnisse Raffaels und Dürers erinnerte.

Gipsabguss der „Laokoon-Gruppe“ im zweiten Antikensaal des Städelschen Kunstinstituts, Foto von 1875
Johann Nepomuk Zwerger, Bildnis Johann Friedrich Städels, 1829, Marmor, Städel Museum, Frankfurt am Main

[Städels Büste stehe] „der Art, daß der Stifter der Anstalt durch alle Säle erblickt, als Herr des Hauses leicht aufgefunden werden und Er, seiner Seits, die Eintretenden und Herumwandelnden gleichsam begrüßen kann.“

Kunst-Blatt 1834, S. 83

Gipsabgusssammlung

Die streng axiale Raumanordnung ließ die Besucher in der nördlichen Raumflucht Höhepunkte der Entwicklung der antiken Plastik erleben. Neben bekannten Einzelfiguren wurden im ersten Saal Abgüsse des Parthenonfrieses der Akropolis in Athen und im zweiten Abgüsse des Frieses des Apollontempels von Bassae aufgestellt.

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Die Sammlung von Gipsabgüssen nach Antiken und – in deutlich geringerem Umfang – nach Skulpturen der Gotik und der Renaissance wurde ab 1817 systematisch aufgebaut. Die vorrangig in Paris und London bestellten Reproduktionen betrachtete man als der Sammlung der originalen Gemälde und Graphiken ebenbürtig. So nahm die Abgusssammlung nicht nur an der Neuen Mainzer Straße einen der Gemäldesammlung gleichrangigen Platz ein, sondern auch nach dem Umzug des Museums an seinen heutigen Standort am Schaumainkai. Erst 1907 wurden die Gipse vom damaligen Städel-Direktor Georg Swarzenski (1876–1957) entfernt, der in Übereinstimmung mit dem Zeitgeist in ihnen nur mehr „kunstwissenschaftliche Studienobjekte“ sah, die in ihrem Rang keinesfalls mit Originalwerken zu vergleichen waren. Die Gipsabgüsse wurden vorerst eingelagert und gelangten dann an die 1914 gegründete Frankfurter Universität, wo sie Teil der Lehrsammlung des Archäologischen Institutes wurden. Bis auf die in den ehemaligen Institutsräumen im ursprünglichen Hauptgebäude der Universität, dem Jügelhaus, fest vermauerten Abgüsse des Parthenonfrieses der Akropolis gingen die übrigen Abgüsse 1944 im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs unter.

Blick aus dem Niederländersaal zum Italienersaal

Gemäldegalerie

Die Abfolge der „Bildersäle“ im südlichen Gebäudeteil spiegelte die künstlerische Rangfolge: Auf einen Oberlichtsaal mit niederländischen Gemälden des 17. Jahrhunderts folgte der „Altdeutsche Saal“. Er beherbergte zahlreiche ehemalige Altartafeln aus Frankfurter Kirchen. Diese waren im Zuge der Säkularisation nach 1806 in den Besitz der Frankfurter Museumsgesellschaft übergegangen und wurden zeitweise im Städel ausgestellt. Den Höhepunkt und Abschluss dieser Raumfolge bildete der Italienersaal.
Der auf den Garten ausgerichtete Seitenflügel bot Platz für weniger bedeutende Sammlungsbestände. Dies betraf die zahlreich vorhandenen niederländischen Gemälde im ersten Zimmer, aber auch Werke vorwiegend Frankfurter Künstler des 18. Jahrhunderts im dritten Raum.

Zeitgenossen

Aus praktischen Gründen wurde die chronologische Folge der Zimmer im Seitenbau unterbrochen: Für Zeugnisse der neuesten Gegenwartskunst benötigte man größere Hängeflächen: Im zweiten Flügelzimmer waren Kartons nazarenischer Künstler wie Friedrich Overbeck und Philipp Veit zu sehen. Der südlich angrenzende größere Saal war 1833 noch geschlossen. An die Langwand gegenüber der Fenster sollte Veit nach 1835 sein Fresko „Die Einführung der Künste in Deutschland durch das Christentum“ malen. Mit ihm wurde das bisher nur in Rom und München geübte neue Leitmedium der monumentalen Wandmalerei auch in Frankfurt eingeführt. Hierin drückte sich symbolisch der Anspruch der Nazarener aus, als Erben Raffaels die Erneuerer der deutschen Kunst zu sein. Zugleich wurde auch ein Beispiel für die Technik der Freskomalerei geliefert, in der sich die angehenden Künstler an der Städelschule erproben konnten.

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Philipp Veits Atelierräume befanden sich im Erdgeschoss des Seitenbaus. Ein kleines Treppenhaus verband sie direkt mit den Sammlungsräumen im ersten und weiteren „Arbeitszimmern mit Nordlicht“ im zweiten Obergeschoss (Administrationsbericht 1836, S. 6). Der hintere Teil des Seitenbaus darf deshalb als „Hotspot“ zeitgenössischer Kunst gelten: Ein viertes Zimmer (wohl in der Achse der Ausstellungsräume gelegen) diente für die Ausstellung von Neuankäufen, der fünfte Raum wurde später möglicherweise vom Kunstverein genutzt.


Erlebte
Kunstgeschichte

Mary Ellen Best, Blick aus dem rechten Empfangsraum nach Norden, 1835, Deckfarben und Aquarell, Foto: Archiv des Städel Museums, Frankfurt am Main

In den Schauräumen wurde die Geschichte der Kunst nach den damaligen Vorstellungen inszeniert. Auch wenn man auf die Eigenheiten eines gewachsenen Sammlungsbestandes Rücksicht nehmen musste, folgten Umbau und Einrichtung der Säle einer inneren Logik, die eine klare Entwicklungsvorstellung der Kunst vermitteln sollte: Raffael stand nicht nur räumlich im Mittelpunkt – durch die Reproduktionsgraphik nach seinen vatikanischen Fresken, die permanent in den Empfangsräumen gezeigt wurden –, sondern diente auch als idealer künstlerischer Dreh- und Angelpunkt. Auf seine Kunst blickte man mit den Augen des Klassizismus, stammten doch die kolorierten Nachstiche nach den Loggien und Stanzen aus dem späten 18. Jahrhundert. Die so vermittelte italienische Renaissance war der Filter, durch den man zurück auf die Antike und zugleich auf die Malerei der Neuzeit bis hin zur eigenen Gegenwart schauen sollte.

Die Räume besaßen verschiedene Wandfarben und ornamentale Dekorationen. Sie sollten die Besucher in die Stimmung der jeweiligen Zeit versetzen und mit den herausragenden Künstlern der jeweiligen Epochen vertraut machen.
Insbesondere die figürlichen Bildfelder nach Entwürfen von Philipp Veit transportierten jedoch auch ganz ausdrücklich ein bestimmtes Bild der Kunstgeschichte.

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Veits Bildprogramm deutete die Museumsaufstellung auf einer kunsttheoretischen Ebene. Seine These: Kunst gibt es nicht ohne Religion. Dies sollte den Besuchern bereits im Treppenhaus eingeprägt werden. Hier hatte Veit Szenen geplant, die auf die Überlieferung der Feste für den griechischen Schmiedegott und Patron der Künste, Hephaistos, zurückgingen. „Der Fackellauf“ wurde aber nie ausgeführt.

Griechische Ursprünge

Im ersten Antikensaal wurde die Frage nach den Ursprüngen der Kunst gestellt. Farbig auf die „Art griechischer Vasengemälde“ reduziert, waren die Bildfelder der göttlichen und menschlichen Kunstfertigkeit und der menschlichen Schöpferkraft gewidmet: Hephaistos als Waffenschmied, Prometheus als Menschenformer, Penelope als Weberin und Daidalos als Erfinder.

Programm der Decken- und Wandgemälde nach dem Entwurf von Philipp Veit
Mary Ellen Best, Ansicht des Altdeutschen-Saals im Städelschen Kunstinstitut (Detail), 1835, Aquarell und Deckfarben, Foto: Archiv des Städel Museums, Frankfurt am Main

Eine deutsche Renaissance

Im Bereich der Gemäldesäle war nur der mittlere, der altdeutschen Kunst gewidmete Saal mit allegorischen Wandbildern ausgestattet. Sie bezogen sich zeitlich auf das (deutsche) Mittelalter. Über dem Durchgang zum Italienersaal (und damit in der Blickachse mit der Stifterbüste) konnte man die Eintracht der drei Künste Architektur, Skulptur und Malerei erblicken. Auf der Eingangsseite wurde das „Erwachen der Kunst“ unter dem Einfluss der Religion thematisiert. Es ging also um eine spezifisch deutsche Renaissance.

Die Bildfelder an den Decken waren von Veits Werkstattmitarbeitern auf Papier gemalt, sollten aber Wandmalerei imitieren. Ihre Umsetzung stand für einen Kritiker in krassem Gegensatz zu ihrem hehren Inhalt:


„Fehlte es etwa an Geld? […] Nicht ohne wehmüthige Empfindungen ging ich lange in diesem Saal herum und war aufgebracht genug über die reichen Frankfurter. – Papiertapeten – Wasserfarben – Schaumgold. O Venedig! O Rom!“

Kunst-Blatt 1834, S. 83

Katholisch und konservativ

Nach dem Vorbild seiner Mutter Dorothea und seines Stiefvaters Friedrich Schlegel war auch der Maler Philipp Veit zum Katholizismus konvertiert. Wie für viele Nazarener und Romantiker war es für ihn selbstverständlich, dass mit der Religion als Trägerin jeglicher Kultur die römisch-katholische Kirche in mittelalterlicher Tradition gemeint war. Diese Vorstellung sollte in einem programmatischen Wandbild in einem für die Aufstellung mittelalterlicher und neuzeitlicher Skulptur bestimmten, an den Italienersaal angrenzenden Galerieraum umgesetzt werden. Einen ersten Entwurf Veits für „Die Einführung der Künste in Deutschland durch das Christentum“ hatte die Administration noch abgelehnt. Dieser hatte die Rolle der katholischen Geistlichkeit zu stark betont.

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Die Gesamtkomposition war wie ein Triptychon aufgebaut. Wie im Eingangsbereich die Büsten des Römers Raffael und des Nürnbergers Dürer, so standen sich auf den seitlichen Bildern die Personifikationen von Italia und Germania gegenüber. Sie standen für die Antike und das Mittelalter, aber auch für die geistliche und weltliche Macht, für das Papsttum und das Kaisertum. In Zeiten des Vormärz war mit dieser Idealisierung zugleich eine konservative politische Stoßrichtung ausgedrückt. Frankfurt spielte dabei eine besondere Rolle: Seine Stadtsilhouette im linken Hintergrund des Hauptbildes grenzte direkt an Rom; das Selbstverständnis der Freien Reichsstadt war seit Jahrhunderten mit den Kaiserwahlen und -krönungen verknüpft gewesen.

Philipp Veit, Die Einführung der Künste in Deutschland durch das Christentum, Italia, Germania, 1834–36, Städel Museum, Frankfurt am Main
Über der Nordwand des Italienersaals sah man Giotto und Fra Angelico.
Mary Ellen Best, Ansicht des Italienersaals im Städelschen Kunstinstitut (Detail), 1835, Aquarell und Deckfarben, Foto: Archiv des Städel Museums, Frankfurt am Main

Die führenden Künstler

In drei der fünf Oberlichtsäle waren die Gewölbeansätze mit Bildnissen wichtiger Künstlerpersönlichkeiten geschmückt: Im hinteren Antikensaal sah man „die Repräsentanten griechischer Kunst und Bildung“ (Vorläufige Mittheilungen 1833, S. 8). Im Altdeutschen-Saal standen im Mittelpunkt Albrecht Dürer und Jan van Eyck, umgeben von weiteren Malern, Bildhauern und Architekten. Dieselbe Rolle kam Raffael und Michelangelo im Italienersaal zu, deren Porträts über der Stirnwand des Raumes mit der dort aufgestellten Büste des Stifters angebracht waren.

Abwertung der Niederländer

Es ist bezeichnend, dass es im Niederländersaal keine entsprechenden Bildnismedaillons gab. Das Dekorationsschema subsumierte die holländischen und flämischen Gemälde unter „die Richtung des späteren Mittelalters“, in der die Natur lediglich nachgeahmt und die italienische Kunst imitiert wurde (Vorläufige Mittheilungen 1833, S. 9).


Quellen

Hängepläne und detaillierte Ansichten

Über die Präsentation zum Zeitpunkt der Eröffnung am 15. März 1833 sind wir dank gedruckter Hängepläne gut informiert. Dass sich bald darauf insbesondere im Italienersaal rasante Veränderungen vollzogen, bezeugen Raumansichten, die die englische Aquarellistin Mary Ellen Best während ihres Frankfurtaufenthalts im Jahre 1835 angefertigt hat. Sie vermitteln einen guten Eindruck von der reichen Dekoration der Räume sowie den Wandfarben. Im gleichen Jahr erschien das neue „Verzeichniss der öffentlich ausgestellten Kunstgegenstände“. Es war nach Räumen gegliedert. Der Vergleich mit den Hängeplänen ermöglicht interessante Rückschlüsse auf die Systematik der Gemäldeabfolge. Auf dieser Grundlage können daher auch die von Mary Ellen Best nicht im Bild festgehaltenen Teile des so grundlegend veränderten Italienersaals im Jahr 1835 rekonstruiert werden.

Plan der Ostwand des Italienersaals, 1833
Mary Ellen Best, Ansicht des Italienersaals im Städelschen Kunstinstitut, 1835, Aquarell und Deckfarben, Foto: Archiv des Städel Museums, Frankfurt am Main
Mary Ellen Best, Ansicht des Niederländersaals im Städelschen Kunstinstitut (Detail), 1835, Aquarell und Deckfarben, Foto: Archiv des Städel Museums, Frankfurt am Main

Rahmen

Die Rahmung war Bestandteil der Inszenierung. Mary Ellen Bests Aquarell des Niederländersaals zeigt gut, wie sich der breite, prächtig verzierten Rahmen ein zentrales Gemälde von seiner Umgebung abhob. Es wäre es allerdings zu aufwendig gewesen, den noch erhaltenen historischen Rahmen im 3D-Modell nachzuahmen. Aus datenökonomischen Gründen haben wir uns auf Rahmen mit geradem Abschluss beschränkt. Die Grundlage bildeten Fotos von 25 historischen Rahmen aus den Beständen des Städel Museums. Unser Ziel war es, ein abwechslungsreiches Erscheinungsbild zu vermitteln. Alle heute unbekannten bzw. nicht mehr vorhandenen Bilder wurden in einer Einheitsrahmung dargestellt.

Cornelis de Vos, Bildnis der Susanna de Vos, der dritten Tochter des Malers, Städel Museum, Frankfurt
In historischer und in heutiger Rahmung (Fotomontage)